Die Ethik des Kaufens – Wo erwerben wir Bücher?

 

Immer wieder gehen Meldungen durch die Presse, die vom Sterben kleiner Buchhandlungen berichten. Große Onlineverkaufsplattformen scheinen das Marktleben zu beherrschen. Es ist die Rede von engagierten Buchhändlern und bestsellerorientierten Ketten – und wie immer liegt die Wahrheit in der Mitte.

Wen unterstützen Lektoren also beim Bücherkauf?

 

Darüber diskutieren diesmal (von links): Bettine Reichelt, Kathleen Weise, Mirjam Becker, Mona Gabriel, Monika Rohde, Susanne Wallbaum und Annette Jünger

 

 

Bettine Reichelt: Vor ein paar Tagen war ich wieder einmal bei meiner Lieblingsbuchhändlerin. Sie hat eine neue Filiale aufgemacht: in einer ziemlich kleinen Stadt. Lobend erwähnte sie, dass der Ortspfarrer auch schon zum Einkaufen gekommen sei. Ich war begeistert, aber beim Nachhausefahren kamen mir Zweifel: Bringt es noch etwas, neue Buchläden zu eröffnen? Selbst enge Freunde kaufen mittlerweile lieber im Internet. Andererseits: Ist es nicht geradezu eine moralische Notwendigkeit, damit der Zugang zum Buch weiterhin allen offen steht – nicht nur denen, die in der Lage sind, das nette Netz zu nutzen?

 

Kathleen Weise: Es ließe sich ganz polemisch dagegenhalten, dass das Internet vielen Lesern den Zugang zum Buch erhält oder eröffnet, die nicht in der Lage sind, eine Buchhandlung aufzusuchen. Entweder weil es in ihrer Umgebung keine gibt oder weil sie schlicht mental oder physisch nicht dazu in der Lage sind.

 

Bettine Reichelt: Da könnte man dagegenhalten, dass viele Ältere das Internet nicht so nutzen wie wir und dass sie eben gerade keinen Zugang zu Büchern haben, weil es in ihrer Nähe keine Läden mehr gibt. Vor allem im ländlichen Bereich macht sich das schmerzlich bemerkbar.

 

Mirjam Becker: Diese moralische Notwendigkeit sehe ich freilich nicht nur bei Buchläden, sondern bei allen mehr oder weniger kleinen Geschäften, weil sie die Nachbarschaft lebendig halten. Ich nutze daher das weltweite Gewebe, um den genauen Titel und die ISBN herauszufinden, und gehe dann in den Buchladen meines Vertrauens, um das Buch zu bestellen. Dort sind die Bücher auch meistens am nächsten Tag da, ist also gar nicht langsamer als der Onlineversand. Und wegen der Buchpreisbindung auch nicht teurer, im Gegenteil, weil die Versandkosten wegfallen. Damit hätten sich für mich schon alle Vorteile des Internets relativiert …

 

Mona Gabriel: Ich gebe es zu – ich bestelle durchaus auch im Internet. Manchmal aus Bequemlichkeit, öfter aus praktischen Erwägungen. Ich lese sehr viel auf Englisch und gelegentlich auch auf Französisch. Naturgemäß ist das Angebot in den Buchhandlungen vor Ort da eher dürftig, meist ist es teurer und die Lieferzeiten sind länger. In den Fremdsprachen lese ich außerdem gerne auf dem Kindle – da gibt es hübsche Zusatzfunktionen wie Wörterbücher und Buchempfehlungen in der jeweiligen Sprache.

Allerdings möchte ich die Empfehlungen meiner Lieblingsbuchhändlerin auch nicht missen. Sie hat mich schon mehrfach auf Autoren gebracht, die mir sonst sicher entgangen wären. Und schon aus diesem Grund versuche ich auch immer wieder, dort zu kaufen – die großen Ketten in der Innenstadt meide ich hingegen, weil ich da normalerweise nicht das Gesuchte finde.

 

Monika Rohde: Da geht es mir etwas anders, ich gehe in Leipzig gern bei einem größeren Haus schmökern, einfach weil diese eine größere Auswahl haben. Aber Bestellungen mache ich grundsätzlich in kleinen Läden. Im Urlaub gehe ich sehr gern in die kleinen Läden und habe es mir zur Gewohnheit gemacht, in jedem etwas zu kaufen. Das hat mir schon etliche freudige Erlebnisse, schöne Läden und tolle Bucherfahrungen gebracht.

 

Bettine Reichelt: Das erlebe ich ähnlich. Ich mag die Läden und Cafés, in denen man lesen und Kaffee trinken kann. Und das bieten doch mittlerweile etliche kleine Buchhandlungen. Vielleicht ist dieser Weg ja gerade für kleinere Orte eine Option? Allerdings braucht es dazu den Mut, sich darauf einzulassen. Ohne eine gute Portion Idealismus wird es nicht funktionieren.

 

Susanne Wallbaum: Ähnlich wie Monika gehe ich gern in größeren Buchhandlungen schmökern; sie haben einfach den Vorteil, auf ihren großen Flächen mehr präsentieren zu können. Da entdecke ich auch ohne bzw. schon vor der Beratung mehr Interessantes, als ich jemals lesen kann. Ich kaufe durchaus auch dort, und es gibt tatsächlich Filialen, die so mit Personal ausgestattet sind, dass man die gewünschte Beratung bekommt. Die Größe des Geschäfts sagt nicht zwingend etwas über die Freundlichkeit der Leute dort.

 

Kathleen Weise: Es gibt bei allen Modellen Vor- und Nachteile. Große Internetanbieter gewinnen ganz klar, was Bequemlichkeit und Auslandslieferungen betrifft. Ketten haben oft die Möglichkeit, Veranstaltungen durchzuführen, die gerade für Autoren ja überlebenswichtig sind. Und unabhängige Buchhandlungen und Spezialbuchhandlungen bieten im besten Falle ein umfangreiches Wissen zu bestimmten Themen und können hervorragende Empfehlungen geben. Jeder Leser/Kunde wird berechtigte Gründe finden, warum er bei der einen oder anderen Buchhandlung einkauft.

 

Susanne Wallbaum: Vielleicht sollten sich ein paar mehr Buchhändler (nicht nur der Bahnhofsbuchhandel) trauen, auf fremdsprachige Literatur zu setzen? Gerade in den Städten, wo es durch Universitäten und Hochschulen bunter wird, wo Leute aus aller Herren Länder studieren, arbeiten oder als Reisende unterwegs sind. Viele junge Leute wachsen auch hierzulande mehrsprachig auf, viele konsumieren via Internet selbstverständlich Filme, Dokus etc. auf Englisch, planen ein Auslandsjahr oder eine ausgedehnte Reise. (Natürlich säge ich damit ein bisschen an meinem eigenen Ast, denn ich will natürlich auch, dass englische/amerikanische Literatur weiterhin in hervorragenden deutschen Übersetzungen gelesen wird, aber dennoch …) Und nicht zuletzt hätte Mona dann vor Ort eine größere Auswahl und würde vielleicht öfter spontan nach etwas Neuem greifen ; )

 

Annette Jünger: Bei mir stellt sich die Frage nach groß oder klein gar nicht, weil sich in meiner Muldentaler Kleinstadt sowieso keine Ladenkette befindet. Von den zwei Buchläden ist einer seit zig Jahren mein Favorit. Er hat ein (mich) ansprechendes Angebot, ist eine Oase zum Verweilen (Sofa …), und das Beste ist: Er hat drei freundliche und überaus kompetente »Bücherwürmer«, mit denen ich oft Gespräche über Literatur führe.

Besonders mit der Inhaberin tausche ich mich gern aus und bekomme nicht nur Empfehlungen, sondern gebe auch ihr welche. Ihr Geschmack gleicht ungefähr meinem, was die Sache profitabler macht. Weil ich mich auf ihr Urteil verlassen kann, habe ich schon manches Buch spontan gekauft – und habe es nicht bereut. Dieser Beratungsservice ist mir kostbar, ich möchte ihn nicht missen, deshalb fühle ich durchaus eine moralische Verpflichtung zur Unterstützung solcher Läden und lasse gern mein Geld dort.

 

Kathleen Weise: Neben der Empfehlung beim Kaffeetrinken oder im Buchladen gibt es aber heute eben auch die breite, gut aufgestellte Bloggerszene. Über die Qualität von deren Empfehlungen kann man vielleicht streiten, nicht jedoch über ihre Wirkung. Wenn also Internetempfehlungen zu Internetkäufen führen, werden dadurch auch Verlage und Autoren unterstützt (allerdings nicht zwangsläufig der Arbeiter, der das Buch im Lagerhaus verpackt).

 

Monika Rohde: Leider auch nicht unbedingt die Verlage, da Amazon mit seinen Rabatten viel mehr bzw. viel weniger an die Verlage zahlt, sodass es sich nicht unbedingt für sie lohnt. Vor allem die Kleineren haben Probleme mit der Einkaufspolitik von Amazon. Sie fordern ja nicht nur höhere Rabatte als alle anderen, sie bestellen auch heute Bücher, die sie morgen zurückschicken, weil an dem Tag keine verkauft wurden, und bestellen sie übermorgen wieder neu.

Für die Verlage besteht dann das Problem, dass sie die zurückgeschickten zum großen Teil nicht mehr als Neuware verkaufen können. Insofern gibt es von einigen Verlagen schon Boykotte dieses Internethändlers. Diese Bücher findet man dann nur noch bei dem guten Buchhändler um die Ecke.

 

Mona Gabriel: Empfehlungen von Leuten, die ich nicht kenne, interessieren mich grundsätzlich nicht. Ich habe schon viel zu oft die Erfahrung gemacht, dass das so hoch gelobte Buch dann überhaupt nicht meinen Vorstellungen entspricht. Da man aber auf den Kindle ziemlich umfangreiche Leseproben bekommt, verführt das natürlich bei Gefallen dann auch zum Kauf – wo wir dann wieder beim Internet sind.

 

Kathleen Weise: Die »Ethik des Kaufens« hängt eben mit den Nachteilen zusammen: Arbeitsbedingungen und geringerer Verlagsanteil (Internetplattform), Konzentration auf die Spitzentitel und Einkauf von Verkaufsfläche durch die Verlage (Ketten) und eingeschränktes Angebot (kleine Buchhandlungen).

Es stellt sich die Frage: Wen möchte ich unterstützen? Und wie sinnvoll ist der Boykott mancher Sachen? Wie helfe ich Autoren und Verlagen am besten, und bin ich als Leser dazu überhaupt verpflichtet?

 

Mirjam Becker: Ob Autoren und Verlage – und damit letztendlich auch wir als deren Dienstleister – mehr verdienen, wenn ich in der kleinen Buchhandlung und nicht im Internet oder bei Ketten kaufe, wage ich doch zu bezweifeln. Am ehesten wäre denen vielleicht mit dem Direktvertrieb geholfen, das würde aber den kleinen Buchhandlungen schaden … Wie bei allem macht’s wohl auch hier der Mix.

 

Kathleen Weise: Interessanter Punkt. Der Sortimentsbuchhandel hat nach wie vor den größten Umsatz, und auch die Direktbestellung beim Verlag nimmt zu.

 

Bettine Reichelt: Das finde ich auch sehr interessant. Das bedeutet ja, dass die Leser sehr genau auch die Programme der Verlage wahrnehmen und dann gezielt dort einkaufen.

 

Kathleen Weise: Ich muss gestehen, dass ich meine moralische Entscheidung aufgrund eines ganz anderen Arguments getroffen habe. Eine Postangestellte erklärte mir neulich, dass der steigende Umsatz des Onlinehandels – auch mit Büchern – dazu geführt hat, dass Paketauslieferer mittlerweile nur noch zwei Minuten pro Haus bekommen, um zu klingeln, die Treppe hochzurennen, das Paket zu übergeben, sich eine Unterschrift geben zu lassen oder gegebenenfalls einen Zettel zu hinterlassen. Zwei Minuten! Kein Wunder, dass sie immer alle so gestresst wirken.

Das ist für mich Grund genug, ein Buch im Ladengeschäft zu kaufen, wenn das Buch dort erhältlich ist. Vor allem in der Vorweihnachtszeit, wenn doch das eine oder andere Buch als Geschenk gekauft wird ...

 

In diesem Sinne, besinnliche Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue (Bücher-) Jahr – ganz gleich, wo Sie, liebe Leser, Ihre Bücher einkaufen.